Vesting-Perioden im Wandel: Marktstandard, Ausnahmen und neue Verhandlungsmacht

Die folgende Einordnung basiert auf einer Hörerfrage aus dem Burn Rate Podcast und greift ein Thema auf, das im Startup-Ökosystem zentral ist und dennoch häufig missverstanden wird: Das Thema Vesting.

Was Vesting wirklich regelt

Vesting bestimmt nicht, wie viel Equity jemand erhält, sondern wann diese Anteile tatsächlich verdient werden. Es ist ein zentrales Instrument zur langfristigen Ausrichtung von Interessen zwischen Gründern, Mitarbeitenden und Investoren. In einem Umfeld mit hoher Unsicherheit schützt Vesting davor, dass früh zugesagte Anteile ohne nachhaltigen Beitrag dauerhaft im Cap Table verbleiben. Es ist damit weniger Ausdruck von Misstrauen als vielmehr ein Mechanismus zur fairen Risiko- und Wertverteilung über Zeit.

Der etablierte Marktstandard

Über Jahre hinweg hat sich ein klarer Standard durchgesetzt: vier Jahre Vesting mit einem einjährigen Cliff. Während der ersten zwölf Monate vestet nichts; danach werden in der Regel 25 % auf einen Schlag fällig, der Rest folgt monatlich oder quartalsweise. Dieses Modell gilt für Early Employees, Management und spätestens ab der ersten institutionellen Runde auch für Gründer. Der Cliff setzte lange ein klares Signal: Langfristiges Commitment ist Voraussetzung für langfristige Beteiligung.

Warum das Thema gerade jetzt neu verhandelt wird

Aktuelle Entwicklungen haben die Debatte neu entfacht. OpenAI hat den Vesting-Cliff für neue Mitarbeitende zunächst verkürzt und inzwischen vollständig abgeschafft. Die offizielle Begründung lautet, Risiken für neue Teammitglieder zu reduzieren. Der eigentliche Treiber ist jedoch der extreme Wettbewerb um Talente im AI-Bereich. Einzelne Profile verfügen über eine derart hohe Verhandlungsmacht, dass klassische Vesting-Logiken an ihre Grenzen stossen.

Die Investorensicht: klare Leitplanken

Trotz dieser Ausnahmen bleibt die Leitlinie aus Investorensicht stabil: Der einjährige Cliff ist weiterhin der Default für die grosse Mehrheit aller Startups. Abweichungen sind nur dann sinnvoll, wenn mehrere Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind etwa extrem seniorige, schwer ersetzbare Expertise, ein Markt mit akutem Talentmangel und ein Unternehmen, das das zusätzliche Risiko bewusst tragen kann. Für klassische Seed- oder Series-A-Setups wäre ein Verzicht auf den Cliff problematisch, da er das Risiko asymmetrisch verteilt und langfristiges Alignment untergräbt.

Überhitzung oder struktureller Wandel?

Kurzfristig handelt es sich um eine Sondersituation in einzelnen Technologiemärkten. Langfristig ist jedoch mit differenzierteren Vesting-Modellen zu rechnen: kürzere Cliffs für Senior Hires, höhere Initial-Vesting-Anteile oder ergänzende Retention-Instrumente wie Refresh-Grants, Cash-Boni oder performancebasierte Meilensteine. Der Cliff selbst dürfte bleiben, weil er mehr ist als eine Vertragsklausel, er ist ein kulturelles Signal für gemeinsames Durchhalten und nachhaltigen Wertaufbau.

Fazit

Der Marktstandard von vier Jahren Vesting mit einjährigem Cliff gilt weiterhin. Entscheidungen einzelner Tech-Leader sind Ausnahmen unter extremen Wettbewerbsbedingungen, nicht die neue Norm. Vesting bleibt ein zentrales Instrument, um Risiko, Verantwortung und langfristiges Commitment in Einklang zu bringen auch wenn sich seine Ausgestaltung im Zuge veränderter Machtverhältnisse am Talentmarkt weiterentwickelt.

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