Replik auf meinen Bilanz Artikel

Diese Woche ist mein Bilanzartikel zu den betrügerischen Gründern und der Verantwortung des VC’s erschienen. Der Artikel hat viel Aufmerksamkeit erzeugt und wurde teilweise falsch interpretiert bzw. auch instrumentalisiert.

Mir geht es darum, eine Präzisierung vorzunehmen. Zunächst: Betrügerische Gründer kommen glücklicherweise sehr selten vor. Um dies etwas zu systematisieren, muss man zwei Gruppen bilden.

Gruppe 1 sind diejenigen Gründer, die eine Firma gründen um zu betrügen. Diese waren beim Bilanz Artikel nicht gemeint und sind für mich auch keine typischen Gründer, sondern Verbrecher.

Mich interessiert vor allem die zweite Gruppe. Dies sind Personen, die in gutem Glauben eine Firma gründen, mit dem Ziel, erfolgreich zu sein, dann jedoch merken, dass sie es nicht packen und Handlungen vornehmen, die nicht okay sind.

Aber gehen wir der Reihe nach und machen ein kurzes Gedanken-Experiment. Stellt euch vor, ihr seid ein/e sehr talentierte(r) Gründer*in, ausgebildet an der ETH und habt eine unglaublich spannende Idee. Ihr erzählt eurem Umfeld davon, alle sind begeistert, inkl. Professorin, Kommilitonen, Familie und Freunde.

Nun machen wir einen Schritt zurück und reflektieren kurz. Eine Idee für ein Startup, man kann sogar behaupten eine Gründung, ist nichts anderes als eine Hypothese. Also eine Annahme, dass eure Idee die Welt verändern wird. Nota bene ist niemand anderes auf die Idee gekommen.

Gehen wir wieder zurück zum Experiment. Damit ihr eure IP (Intellectual Property) schützen könnt, gründet ihr nun eine Firma und beteiligt in einer FFF (Friends, Family und Fools) Runde eure Freunde, Familie und das nähere berufliche Umfeld wie z.B. eure Professorin. Ein Kommilitone verkauft sein Motorrad (da null Erspartes) und investiert auch noch CHF 10’000.00.

So. Nun macht ihr euch daran, die Hypothese zu verifizieren. Ihr beginnt mit der Entwicklung, testet, passt an. Ihr stellt die ersten Mitarbeitenden ein und braucht schon bald neues Kapital. Ihr findet dies über Business Angels und nehmt an nationalen Wettbewerben teil, die euch neben dem Kapital, Publizität geben.

Ihr werdet gefeiert, seid unter den zehn besten Schweizer Startups. Ein Porträt in der NZZ erscheint und sogar die Politik interessiert sich für euch.

Gehen wir wieder in die Beobachter-Rolle zurück: Fakt ist, ihr habt zwar viel Publizität, ein Team mit 5 Mitarbeitenden und CHF 1.5 Mio. auf dem Konto. Die Hypothese konnte jedoch noch immer nicht verifiziert werden, die Testergebnisse bleiben schlecht.

Nun steigt der Druck langsam aber sicher. Nach weiteren 18 Monaten ist das Geld weg und ihr müsst eine Series A Finanzierung mit VCs umsetzen. Dies gelingt euch relativ gut, da ihr endlich einigermassen positive Testergebnisse vorweisen könnt. Da der Umsatz immer noch nahezu null ist, erhalten die Investoren einen hohen Anteil an der Firma was bedeutet, dass die Seed- und v.a. FFF-Investoren massiv verwässert werden. Auch eure Foundershares sind keine 50% mehr wert.

Die Series A spült euch satte CHF 3 Mio. in die Kasse und ihr könnt endlich mit der serienmässigen Entwicklung beginnen. Obwohl ihr jetzt ein funktionierendes Produkt habt, stellt sich der Erfolg auf der distributiven Seite nicht ein. Aufgrund der hohen Kosten (mittlerweile habt ihr einen monatlichen Cash-Burn von CHF 650K) ist das Geld rasch wieder weg. Die VCs pushen euch, Vollgas zu geben und akzeptieren keine Ausflüchte. Für sie gibt es nur alles oder nichts. Zudem beginnen die Medien, die euch vor Kurzem noch gefeiert haben, kritische Fragen zu stellen.

Obwohl ihr wisst, dass ihr Startup wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt ist, überlegt ihr euch weiterzumachen. Was macht ihr nun?

So, beenden wir hier unser Gedanken-Experiment. Kommen wir zur „Fake-it-till-you-make-it“ Methode und sezieren diese.

  • Fake: Heisst, sie beschönigen, stellen zu positiv dar, zeigen bewusst einen künftigen Zustand (der jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erreicht ist). Sie tun dies, weil sie davon ausgehen (schlechter: sie hoffen), dass sich der Erfolg einstellen wird. Ist das schlimm? JEIN. Wenn sie wirklich davon ausgehen, dass sie es packen werden, finde ich eine gewisse Zukunftsdarstellung okay. Was nicht okay ist, wenn man davon ausgeht, dass es kaum reichen wird bzw. man sogar wissentlich betrügt, wie dies z.B. Elizabeth Holmes (Theranos) gemacht hat, dann geht dies natürlich zu weit.

    Ich bin überzeugt, dass die Investoren (weit weg) und der VR (nahe dran – hoffentlich) in 90% dieser Fälle den Fake bemerken, wenn sie genauer hinschauen würden (Stichwort Due Diligence). Und das ist ein entscheidender Punkt. Wie können wir von einem jungen Menschen verlangen, in einer extremen Drucksituation charakterstark zu sein und zu „gestehen“ gescheitert zu sein und wir machen unseren Job nicht richtig? In anderen Worten, wir Investoren verleiten die Gründer mit unserem Verhalten zum Fake, da wir immer mehr fordern und Druck machen, anstatt (wichtig!) dem Gründer einen safe space zu gewähren und versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Vor allem in einem Land wie die Schweiz, wo scheitern komplett stigmatisiert wird. Wir müssen dringend lernen, das Scheitern zu akzeptieren.
  • till: Kommen wir zum zweiten Wort, dem till. Ich denke, es ist wichtig, dass sich Gründer ein Zeitlimit setzen, bis wann sie es probieren wollen. Wenn dieses Zeitlimit erreicht ist, sollte man ernsthaft darüber nachdenken, aufzugeben. Diese Zeitspanne ist je nach Branche sehr unterschiedlich, sollte aber bei der Gründung definiert werden. Das Zeitlimit hilft den Gründern, eine gewisse Endlichkeit (man könnte auch sagen Erlösung) gibt, falls sich der Erfolg nicht auf Anhieb einstellt.
  • make it: Hier möchte ich erwähnen, dass ein Investor nicht einen 1.5x return erwartet sondern mindestens ein 3x, was den Druck auf die Gründer zusätzlich erhöht.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ging mir beim Bilanz Artikel nicht darum, Gründer-bashing zu betreiben, sondern Verständnis für die schwierige Situation von Gründer*innen zu schaffen und einen Appell an uns VCs zu richten. Wir haben es in der Hand mit proaktivem (Coaching) und verständnisvollem (Safe Space) Verhalten, die Gründer auf schwierige Situationen vorzubereiten mit dem Ziel das „Fake“ transparent(er) und verständlich(er) zu machen.

Eine Antwort zu „Replik auf meinen Bilanz Artikel”.

  1. Hoi Max, vielen Dank für die Präzisierung, die ich wichtig finde. Das Safe Space Verhalten ist extrem wichtig. Es gibt (leider) viele überforderte VC-Manager, die nur die Einnahmenseite – zum Beispiel die ARR-Entwicklung – anschauen, und die Cost-Income-Ratio völlig ausser Acht lassen. Letztere ist aber entscheidend, ob das Startup in eine Liquiditätsfalle gerät oder nicht. Deshalb mein Appel an die VCs: Seid strategisch denkende, umfassende Coaches. Dann haben die Startups genügend Zeit, ihren Markt zu entwickeln und die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen (IP-Rechte, Logistikprozesse, Herstellungsprozesse, Marketing- und Marktentwicklungsprozesse uvm.).
    So geschehen bei Mitipi mit KEVIN (https://mitipi.com), das von CCI getragene und unterstützte Startup, das mit dem klassischen VC-Ansatz schon längst Geschichte wäre, aber jetzt beginnt – auch dank mittlerweile erteilter US- und EU-Patente und der nun dritten Generation von KEVINs – in den USA durchzustarten. Schöne Grüsse, Patrick

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